Lernbegleiter und Coach statt Lehrer
Von dem Protagonisten der Gemeinschaftsschule, Peter Fratton, wurde die aktive Rolle des Lehrers bei allen Lernprozessen durch eine passive ersetzt. Der Lehrer soll „Lernbegleiter“ sein, der/die SchülerIn „Lernpartner“. Ihre gleichwertige Stellung soll bereits im Sprachgebrauch deutlich werden. Unterstützt wird dieser Ansatz durch die bekannten vier pädagogischen Urbitten von Peter Fratton: „Bringe mir nichts bei. Erkläre mir nichts. Erziehe mich nicht. Motiviere mich nicht.“ Der/die SchülerIn selbst soll Mittelpunkt allen Lernens und Handelns sein, selbst seine Ziele bestimmen, diese eigenverantwortlich verwirklichen etc. Der Lehrer bzw. Lernbegleiter ist nur ein Coach auf dieser Strecke, der beratend dem/der Lernenden zur Seite steht – wenn er denn gefragt und darum gebeten wird.
Inzwischen haben sich der Kultusminister Andreas Stoch/SPD und der Ministerpräsident Winfried Kretschmann/Grüne (Baden-Württemberg) von Frattons Lehre distanziert. Peter Fratton ist als Berater der Regierung zurückgetreten. Der Ansatz des individualisierten Lernens als Hauptunterrichtsmethode sowie die Rolle des Lehrers als Coach sind aber geblieben.
Einwände dagegen
Aus ihrer täglichen Erfahrung der Schul- und Lernwirklichkeit wissen LehrerInnen, wie wichtig für den Unterrichtsverlauf ein agierender Lehrer ist, der dem Unterricht eine Richtung vorgibt, rechtzeitig eingreift, steuert, Fragen beantwortet etc. Die Lernprozesse dem/der Schülerin allein in die Hand zu legen finden viele Lehrer unverantwortlich.
Im Jahr 2008 hat John Hattie, neuseeländischer Bildungsforscher und Professor an der University of Melbourne, das Buch „Visible Learning“ herausgebracht, das in der pädagogischen Welt inzwischen viel beachtet ist. Er liefert die umfangreichste Darstellung der weltweiten Unterrichtsforschung. Es ist eine Analyse, in die mehr als 50.000 Einzeluntersuchungen mit 250 Millionen beteiligten Schülern eingeflossen sind. Seine Ergebnisse lauten kurz zusammengefasst: Kleine Klassen bringen nichts. Offener Unterricht auch nicht. Entscheidend ist der Lehrer, die Lehrerin. Die größten Unterschiede im Lernzuwachs zeigen sich nicht zwischen Schulen, sondern zwischen einzelnen Klassen, und das bedeutet: zwischen einzelnen Lehrern. Das ist Hatties zentrale Botschaft: Was Schüler lernen, bestimmt der einzelne Pädagoge. Alle anderen Einflussfaktoren – die materiellen Rahmenbedingungen, die Schulform oder spezielle Lehrmethoden – sind dagegen zweitrangig.
Leider findet die Studie von John Hattie (https://www.zeit.de/2013/02/Paedagogik-John-Hattie-Visible-Learning) wenig Beachtung bei den Verantwortlichen des Ressorts Schulentwicklung/ Bildungspolitik.
Viele Modelle zur Persönlichkeitsentwicklung zeigen klar auf, dass Kinder klare Regeln und gute Vorbilder benötigen, bevor sie in der Pubertät beginnen, ein eigenes Wertesystem zu entwickeln. Ein Lehrer, der klare Regeln vorgibt, berechenbar und verlässlich ist, ist gerade für eher schwierige Kinder und Jugendliche wichtiger Partner, aber auch Gegenpart, an dem sie sich reiben können.